Unstatistik des Monats August 2020: Die Krisenverliererinnen?

In Österreich wird derzeit eine hitzige Debatte darüber geführt, ob Frauen von der Corona-Krise stärker betroffen sind als Männer. So schreibt die österreichische Ausgabe der „Zeit“ am 13. August: „Ende Februar, bevor Schulen und Geschäfte zugesperrt wurden, waren in Österreich rund 399.000 Menschen arbeitslos, Ende Juni waren es 64.000 mehr. 85 Prozent dieser sogenannten Corona-Arbeitslosen waren laut Daten des Arbeitsmarktservice Frauen.“ Ähnlich berichten unter anderem „Der Standard“, „Die Presse“ und „Kontrast“.

Person mit Maske
© Cheng Feng on unsplash

Doch es ist falsch, aus dem relativ stärkeren Anstieg der absoluten Arbeitslosigkeit österreichischer Frauen seit Februar die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Frauen von der Krise stärker betroffen sind als Männer. Denn die Arbeitslosigkeit unterliegt starken saisonalen Schwankungen, von denen österreichische Männer üblicherweise sehr viel stärker betroffen sind als Frauen. Viele österreichische Männer finden jedes Jahr bis zu den Sommermonaten aus der Arbeitslosigkeit heraus. Um herauszufinden, wie Corona die Arbeitslosigkeit von Männern und Frauen beeinflusst hat, muss man als Vergleichsmaßstab für die Anzahl der Arbeitslosen in diesem Sommer mit Corona nicht die Arbeitslosigkeit im Frühjahr dieses Jahres nehmen, sondern den Wert ermitteln, der sich in diesem Sommer ohne Corona ergeben hätte.
 

Die Corona-Krise hat Frauen und Männer schwer getroffen


Wenn man hierzu keine komplizierten statistischen Methoden zur Bereinigung saisonaler Schwankungen verwenden möchte, kann man vereinfachend auf die Entwicklung des Vorjahres zurückgreifen. Nach den veröffentlichten Statistiken des Arbeitsmarktservice (AMS) Österreich ist die Zahl der arbeitslosen Männer zwischen Februar und Juni 2019 um 70.603 gesunken (in den Jahren 2017 und 2018 lag dieser Wert sogar bei über 85.000). Die Zahl der arbeitslosen Frauen verringerte sich im gleichen Zeitraum lediglich um 15.549 Personen (ähnlich in den Jahren 2017 und 2018). Das ergibt eine Differenz in der Entwicklung der absoluten Arbeitslosigkeit vom Frühjahr bis zum Sommer zwischen Frauen und Männern von gut 55.000 Personen.
 

Unter der Annahme, dass sich ohne Corona-Krise die Differenz in der Abnahme der absoluten Arbeitslosigkeit zwischen Frauen und Männern im Jahr 2020 genauso entwickelt hätte wie im Jahr 2019, zeigt sich, dass Männer in dieser Beziehung die eigentlichen Krisenverlierer sind. Zwischen Februar und Juni 2020 ist die Zahl der arbeitslosen Frauen um 54.702 Personen (statt des Rückgangs um 15.549 Personen wie in 2019) und die der arbeitslosen Männer um 9.444 (statt des Rückgangs um 70.603 Personen wie in 2019) gestiegen. Das entspricht einer Differenz von 45.258 Personen - knapp 10.000 Personen weniger, als auf Basis des Jahres 2019 zu erwarten gewesen wäre.
 

Die Schlagzeile „Männer sind die Krisenverlierer“ wäre jedoch ebenfalls voreilig. Um eine fundierte Einschätzung zu erhalten, ob Frauen oder Männer die Verlierer der Corona-Krise sind, müssen weitere Dimensionen des Arbeitsmarktes in den Blick genommen werden: Wie viele Frauen und Männer sind aufgrund der Krise komplett aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden? Wie hat sich die Anzahl der Personen in Voll- und Teilzeitarbeit entwickelt? Wie viele Personen haben in Tätigkeiten mit einer geringeren Bezahlung gewechselt? Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Entwicklung der Beschäftigung ausländischer Saisonarbeitskräfte? Bevor diese und weitere Fragen geklärt sind, ist nur eines sicher: Die Corona-Krise hat sowohl Frauen als auch Männer schwer getroffen – nicht nur auf dem Arbeitsmarkt.

 

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Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas K. Bauer, Tel.: (0201) 8149-264
Leonard Goebel (Kommunikation RWI), Tel.: (0201) 8149-210  

 

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik.